Samstag, 23. Juli 2022

Perpetuum mobile

 Es hat sich vieles in meinem Leben verändert.

Meine Schwester ist gestorben.

Ich habe ihren Hund geerbt.

Ich wollte keinen Hund.

Ein Hund passt nicht in mein Leben.

Nun habe ich einen Hund in meinem Leben.

Vieles mussten wir umgestalten.

Ein Stück Kindheit bricht weg, wenn die große Schwester stirbt.

Man wird ein Stück erwachsener.

Ein Stück Komfort kommt zurück, wenn ein Mensch stirbt, der einem das Leben schwer machte.

Es fühlt sich etwas an, wie eine Raupe, die nun als Schmetterling den Kokon verlässt. 


Eigentlich bin ich eine Tiefstaplerin. 

Ich mache nicht wenige Rechtschreibfehler.

Ich benutze Fremdwörter nicht immer richtig.

Sprache benutze ich allgemein sehr kreativ.

Für meine Kommabenutzung habe ich auch ganz eigene Regeln. 

Wenn jemand denkt, dass ich dumm bin, dann lasse ich ihn in dem Glauben, weil es mir vollkommen egal ist, denn Intelligenz ist eine Form von Eitelkeit und meine Vermutung ist ohnehin, dass Menschen die meinen für intelligent gehalten werden zu müssen, ihre ganz persönlichen Probleme haben.

Die Dinge, auf die ich Wert lege, haben mit Charakter zu tun, mit Loyalität, Ehrlichkeit und Stärke. Dafür braucht man weder Grammatik, noch einen hohen IQ. Herz und Verstand genügen mir vollkommen.

In den letzten Wochen bin ich weit von meinem Weg abgekommen.

Ich komme auch weiterhin immer weiter weg davon und dadurch zurück zu mir, zu meinem ursprünglichem Ich und meine innere Sklavin, das was ich dafür hielt, ist wie ein Scheinriese. 

Je weiter ich von ihr weg war, umso mehr sehnte ich mich nach mir, umso wichtiger kam sie mir vor und jetzt, wo ich sie theoretisch haben könnte (darauf gehe ich später mehr ein), merke ich, sie war nie meine innere Sklavin, sie war keine Sklavin, sie war etwas anderes.

Ich muss dafür aber weiter ausholen.

Ich bin eine Tiefstaplerin.

Gerne stelle ich, was ich tue und bin, als wesentlich kleiner dar, als ich bin. Dieses klein machen, ist so ein weibliches Ding, Erziehungssache, hat ganz verschiedene Hintergründe, ist ganz typisch für Frauen allgemein, für Sklavinnen im Besonderen. Warum eigentlich? Warum darf man eigentlich nicht stolz sein? Aber das geht nun weit vom Thema weg.

Ich wurde als drittes Kind geboren und meine große Schwester war 8 Jahre älter als ich. Sie hatte einen schweren Unfall, als ich noch ganz klein war und saß fortan im Rollstuhl. Das ist schlimm, keine Frage, aber ab dann hieß es, dass ich für sie da sein muss und ihre Füße ersetze. Wenn sie etwas brauchte, hatte ich es zu holen, denn immer in den Rollstuhl rein, um es sich selber zu holen, ist ja schon arg mühsam, also kann das ja die kleine Bianca machen.

Kein großes Ding... wenn man sich damit keinen Tyrannen heranziehen würde.

Meine Schwester nutzte es gnadenlos aus. Sie rief mich wegen jeder Kleinigkeit. "Bianca, komm mal!" und dann wollte sie mir was im Fernseher zeigen, oder ihr war langweilig, oder oder oder, jedenfalls war so gut wie nie etwas wirklich wichtiges. Wenn ich dann entnervt nicht sofort lief und sie immer lauter und hysterischer schrie und mein Vater schauen ging, versteckte sie z.B. ihre Wasserflasche und behauptete dreist, dass sie furchtbaren Durst hätte und ich ihr nichts zu Trinken bringen würde.

Küchenpsychologen würden an dieser Stelle nun lauthals los diagnostizieren, dass ich deshalb zu DS fand und Sklavin wurde. Nein, tut mir leid. So einfach ist es nicht :)

Ehrlich gesagt spielte ich auch schon in einem ähnlichem Alter, an Kindergeburtstagen oder zu anderen Gelegenheiten, am Liebsten "armer schwarzer Kater". Dabei geht es darum, dass Kinder einen Kreis bilden. Ein Kind ist der arme schwarze Kater und muss in der Mitter, auf allen Vieren miauend ein Kind aussuchen. Das Kind soll nun drei mal, ohne zu lachen!, "armer schwarzer Kater" sagen. Schafft es dass, versucht es der Kater beim nächsten Kind usw. 

Also meine Veranlagung allgemein war schon immer da, das wurde mir auch in meinen ersten Beziehungen sehr deutlich, in denen ich immer etwas vermisste und nicht wusste, was ich genau suchte und dann, in einer leider zu brutalen Form fand ich es und merkte langsam, wohin die Reise geht, ohne Worte dafür zu kennen.

Es ist schwer in Worte zu fassen, was in den letzten Wochen in mir passiert ist.

Ich wurde immer klein gehalten. Dieses "nicht gut genug" Gefühl.

Monsieur ist da anders. Er sagt immer "Gönn es Dir." oder "Warum nicht? Ja es kostet mehr, aber es ist ja auch besser."

Dadurch und durch viele andere kleine Dinge, entstand ein stetiges langsames Umdenken.

Meine Mutter starb früh, auch an Krebs, weil er bei uns vererbt wird. Eine Familie ohne Mutter ist keine Familie, so ist meine Erfahrung.

Man hat immer eine Wahl im Leben. Selbst wenn es schlimme Nachrichten gibt, hat man die Wahl, wie man damit umgehen kann. 

Meine Schwester ging nicht zur Vorsorge, das war ihre Wahl. Ich ging und gehe zur Vorsorge, das war meine Wahl. Zwar hatte ich einige OPs und bin körperlich nicht mehr so fit wie andere in meinem Alter, aber ich lebe, sie nicht. Ich bin älter als meine Mutter geworden und mit etwas Glück werde ich älter als sie.

Ich tue alles dafür

Ich habe immer versucht die richtigen Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie nicht leicht waren.

Sicher habe ich nicht immer das Richtige getan, aber ich habe immer mit dem Gedanken, das Richtige zu tun, entschieden.

Als ich zu Monsieur kam, sah ich mich als alleinerziehende Mutti, chronisch krank, aber so fit, dass ich 5x die Woche ins Fitnessstudio gehen kann, TPE Sklavin durch, wissbegierig und permanent untervögelt.

Und wenn mich jemand gefragt hatte, was ich im Leben geleistet habe, dann wäre mir nichts eingefallen. Einfach nichts.

Bei Gesprächen ließ er nebenbei einfließen, wie toll er es fand, dass ich trotz meines psychisch so kaputten Mannes, meine Kinder so gut erzogen habe und das, obwohl ich ständig im Krankenhaus war. Vorher sah ich das nicht so. Zwar hatte ich die zwingende Notwendigkeit erkannt, klar, aber die Leistung dahinter nicht, nur den Druck es zu schaffen.

Oder meine Krankheit. Mal sah ich sie als Fluch, mal als Horrortrip, immer recht negativ, aber er erkannte darin meine Stärke, die ich unter beweis stellen konnte und eine Chance. Nun bin ich stolz darauf, was ich trotz meiner Krankheit schaffe.

Er sagte nie etwas zu meinem Bildungsgrad, sondern betonte immer, wie toll er es findet, wie ich mich nebenher weiter gebildet habe, es noch tue und was ich alles geschafft habe, was ich alles weiß und dass ich nicht aufhöre.

Er hat immer wieder diese vielen Seiten an mir aufgezeigt, die vorher keinen interessiert haben.

Meine Partner, oder auch andere Männer die ich kennengelernt hatte, haben sich für mein Aussehen interessiert, für meine devote Seite, aber das wars.

Mein Wesen kaum.

Meine Krankheit wurde entweder ignoriert, oder schlimmer, mein Ex-Ehedom nutzte sie gerne, um sich als Opfer zu inszenieren, wie arm er dran ist, mit so einer kranken Frau...

Mich mal intellektuell fördern? Nein, das ist kein Thema gewesen.

Monsieur war da immer vollkommen anders.

Ich hatte irgendwann erwähnt, dass ich in jungen Jahren gerne gemalt und gezeichnet hatte, dann aber aufhörte und später meine Sachen meinem Kind geschenkt hatte. Er fragte, was ich dafür brauche. Mittlerweile habe ich eine gigantische Bibliothek und meine Kunstecke ist perfekt! Wirklich, mir fehlt es an nichts und das nur, weil ich mal sagte, wie gerne ich es früher machte und dachte, ich kann es eh nicht.

Aber er glaubt an mich und fördert mich.

Im Buchladen nehme ich mir ein paar Bücher, setze mich in eine Ecke, schaue sie mir genauer an, während er herumstöbert. Meistens vertiefe ich mich in eins und wenn er fertig ist, fragt er mich, welche ich möchte. Er schaut dann nicht, ob es zu teuer ist, sondern was für eins es ist. Er interessiert sich für das Thema und sagt etwas dazu, wobei ich besonders gerne höre, dass er es auch gerne lesen würde, weil das bedeutet, dass wir darüber reden werden :)

Damit meine ich nicht, dass ihm Geld egal ist, so ist es nicht. Wir sparen dafür an anderen Dingen. Jeder hat Zeug, wo er lieber spart und Zeug, was ihm wichtig ist und daher das Geld lockerer sitzt. Es geht darum, dass er weiß, ich würde ein teures Buch immer direkt zurücklegen und sagen, es ist mir zu teuer, ich nehme das, was weniger kostet, auch wenn ich das Andere lieber haben würde, aber er ist die Stimme die dann sagt: "Nein, gönn es Dir, Du bist es wert!"

Ich wuchs mit Stimmen auf, die mir sagten, dass ich es nicht wert bin.

Ich hatte kein eigenes Zimmer.

Ich sollte für meine Schwester da sein. Ich durfte keine eigene Zeit haben, sondern sollte für sie verfügbar sein. Sie hatte kaum eigene Freunde und wenn ich zu meinen gehen wollte, bekamen wir Streit. Immer wieder Streit. Ich wuchs mit dem Gedanken auf, ich bin es nicht wert. Egal was.

Als ich also den Anruf bekam, dass sie Krebs hat, war es keine so große Überraschung, weil sie nicht zur Vorsorge ging, aber es stellte einiges um, denn nun hatte ihr Leben ein Verfallsdatum. Kein genaues, aber eins, was bedeutete, dass wir ihren Hund aufnehmen würden.

Das war ein sehr blöder Zeitpunkt dafür.

Monsieur und ich hatten eine Dauerkrise. Im Prinzip seit wir zusammengezogen sind.

Monsieur ist ein super Monk, der alles umstellen musste und nicht wollte und ich, die Hippie Queen, die das bunte Chaos mag, sich schon zusammen gerissen hat, es ihm recht machen wollte, aber nicht wusste wie.

Wir saßen nur noch in unseren Ecken und waren seelisch komplett auseinander.

In Krisen halten wir zusammen und funktionieren. Das klappt gut, aber mehr auch nicht. Wir funktionieren.

Meine Schwester stirbt, ich habe ihren Hund, der nicht in mein Leben passt, ich mag die Verantwortung nicht, der Hund macht meine Position streitig, Monsieur ist noch unzufriedener, dadurch bin ich noch unzufriedener, außerdem stirbt meine Schwester, meine Migräne wird immer häufiger und schlimmer, ich komme einfach überhaupt nicht mehr klar! 

So sah es in etwa aus, als der Anruf kam, dass sie plötzlich und viel zu früh gestorben ist.

Nicht mal am Krebs im eigentlichen Sinne. Sie ist erstickt. Nur indirekt am Krebs so gesehen.

Und das war wirklich plötzlich, denn eigentlich hätte sie noch ein paar Wochen oder Monate gehabt und das hat mich dann umgehauen.

Aber manchmal braucht man genau das.

So einen Baseballschlägerschlag voll in die Fresse!

Dann liegst du auf dem Boden, blutend, leidend, alles tut weh, voller Hass und Wut!

Aber das Leben interessiert es nicht.

An dem Punkt war ich schon einige Male.

Du denkst echt, du kannst einfach nicht mehr, du bekommst keine Luft, du hältst das jetzt einfach nicht mehr aus, aber das Leben interessiert es nicht und es geht einfach weiter. 

Was hast du denn dann für eine Wahl?

Keine!

Du machst weiter...

Aber das Wie! ist entscheidend. 

Wie machst du weiter?!?

Das hat sich geändert.

Warum denke ich so klein von mir?

Warum staple ich mich immer so tief?

Ich bin ein toller Mensch.

Ich helfe nahezu jeden Tag Menschen.

Ich bin immer für Andere da.

Ich habe anderen Leuten durch ihre schlimmsten Tage geholfen.

Ich habe Andere aufgebaut, als sie nicht weiter wussten.

Es gibt gerade jetzt einen Menschen in meinem Leben der sagt: "Ich muss nur Deine Stimme hören, und es geht mir schon besser!"

Ich habe an Menschen geglaubt, als sie es selber nicht konnten.

Ich habe an mich geglaubt, als es kein Anderer tat.

Ich bin nicht gestorben, als es mehrmals knapp war.

Ich war für meine Kinder da, ich selbst für mich alleine zu schwach war.

Ich gehe jedes Jahr zu Vorsorge, obwohl ich so furchtbar Angst habe.

Ich stehe jeden Morgen auf, egal wie es mir geht und was ich zu erwarten habe.

Ich habe die Hölle erlebt und lebe noch und kann positiv in die Welt schauen.

Ich hatte ein furchtbares Leben und bin mit einer der positivsten Menschen, die ich kenne!

Ich kann lieben, lieben, lieben, egal wie oft ich verletzt wurde und werde.

Ich habe den Hund meiner Schwester aufgenommen, der krank ist und mir das Herz brechen wird, der meinem verstorbenem Hund so ähnlich sieht und mich täglich an sie erinnert und mir dadurch weh tut, weh tut, weh tut.

Ich bin einer der stärksten Menschen die ich kenne und ich kann so verdammt stolz auf mich sein, dass eine Verdienstmedaille erst noch erfunden werden müsste!

Und durch diese neue Einstellung, die unter anderem von Monsieur erschaffen wurde, habe ich mit ihm ein Gespräch geführt, was vielleicht längst fällig war, aber sicher noch nicht früher reif gewesene wäre.

Im Prinzip lebten wir nur noch wie in einer WG.

Wir aßen zusammen und schauten mal eine Serie, oder einen Film. Wir führten nette Gespräche und gingen uns viel aus dem Weg, ansonsten stritten wir viel. Mehr war nicht übrig geblieben.

Meine innere Sklavin war eingeschrumpelt und nicht mehr vorhanden.

Ich setzte mich mit ihm hin und erklärte meine Sicht, unter anderem das Gefühl, dass ich aufgegeben wurde, bereits vor langer Zeit. Dass man sich keine Mühe mehr mit mir als Mensch gibt. Details sind hier unwichtig, er bekam sie zu hören.

Auch erklärte ich, worin aus meiner Sicht unsere Probleme entstanden sind, eben das Thema Monk&Hippieseele und wie man das miteinander leben kann. Er sagte, dass das gar nicht geht und an dem Punkt kann man nur antworten, dass man dann keine Beziehung führen kann. Wenn das Gegenüber meint, etwas geht gar nicht, ist es nicht das Thema, dass man diskutiert, sondern die innere Einstellung. Geht gar nicht ist eine Blockade.

Gut, wenn es gar nicht geht, braucht man nicht weiter reden, dann trennt man sich eben.

Vielleicht war das ein Weckruf?

Danach verlief unser Gespräch anders und seit dem krempeln wir unser Leben um und ändern viele Dinge. Innerlich, äußerlich, allgemein, im Detail.

Monsieur mag es nicht, wenn wir persönliche Details preisgeben, daher lasse ich es an der Stelle offen.

Das ist auch der Grund, warum ich erst einmal alle Blogeinträge offline  nahm und sie nach und nach, oder auch nicht, wieder online stelle, je nach Beurteilung.

Vieles aus unserem Leben fliegt raus, manches wird ersetzt, anderes hinterlässt eine Lücke, aber keine als Platzhalter, sondern eine schöne freie Fläche, damit das Auge darüber schweifen und entspannen kann.

Meine Scheinriesensklavin ist noch so ein Ding.

Meine innere Sklavin ist ein Teil von mir, aber ein anderer, als den den ich bisher sah. Meine innere Sklavin ist ein verspieltes Wesen, eher ein kleiner Kobolt und kein Paragraphenreiter, der darauf achtet, ob auch alles genau eingehalten wird. Das entstand eher, als mein Ex-Ehedom mich zunehmend verletzte durch Missachtung und man lediglich daran messen konnte, ob man noch Aufmerksamkeit bekommen würde.

Meine innere Sklavin, auch das hat mir Monsieur nach und nach gezeigt, braucht Liebe und Wärme, Zuneigung und Nähe. Nicht durch Regeln und Gehorsam, sondern als Grundvoraussetzung und darauf baut man dann auf! Als Grundgerüst und erst dann kann man doch, durch das dadurch gewonnene Vertrauen, Regeln und Gehorsam einsetzen. Soweit sind wir im Moment nicht, weil wir beide noch keine Wohlfühlphase haben, sondern noch im Aufbau sind und zueinander finden müssen. Uns selber finden müssen und zueinander finden müssen.

Ich muss vor allem auch zu meiner Stärke finden und sie nicht verleugnen. Wenn ich stark bin, kann ich meinen Herrn auch besser unterstützen. Wie kann eine starke Sklavin, ihrem Herrn, unterstützen und helfen? Das ist grenzenlos, wenn er sie ebenso fordert und stützt. Ein Perpetuum mobile.