Weisheit Besonnenheit Mut Gerechtigkeit
Herrschaft ist vor allem Herrschaft über sich selbst. Nur wer sich selbst beherrscht, wer Macht über sich selbst hat, kann überhaupt Macht über andere haben. Nun ist niemand frei von Schwächen; gerade Wut oder Angst können dazu führen, dass man die Herrschaft über sich selbst verliert – man handelt oder reagiert unbeherrscht. Niemand kann sich davon freisprechen, solche Momente zu erfahren. Nicht der Mangel an Schwächen macht Stärke aus, sondern der Umgang mit ihnen. Erst dort zeigt sich die Herrschaft über sich selbst, im Umgang mit den eigenen Schwächen.
Die alten Stoiker haben viel über diese Selbstbeherrschung nachgedacht – auch und gerade darüber, was im eigenen Machtbereich liegt. In der Erkenntnis über die eigenen Grenzen liegt das eigentliche Freiheitspotenzial. Was kann ich beeinflussen, was liegt nicht im Bereich meiner Einflussnahme? Die Aufklärung über die Beherrschung der eigenen Affekte und ihre Einordnung – darin liegt die Leistung der antiken Stoa. Und sie gibt uns Tugenden an die Hand, die jedem, der Herrschaft über sich selbst und andere anstrebt, gut zu Gesicht stehen:
- Weisheit: Zusammenhänge in der Tiefe verstehen
- Besonnenheit: das rechte Maß in Allem finden
- Mut: für sich und die Seinen einstehen
- Gerechtigkeit: Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln
Auf dieser Folie will ich im Folgenden über haustierchen und mich nachdenken. Unmittelbarer Anlass ist ihr vorletzter Blogeintrag, aber diese Gedanken sind mehr als überfällig. Zwar beginnt der Blogeintrag mit Weihnachts- und Neujahrswünschen, aber sein eigentliches Thema sind Sorgen, Nöte und eine allgemeine Malaise, die sich wie Mehltau über unsere Beziehung gelegt hat. Zwei Stellen will ich herausgreifen: "Vieles hängt schlicht von Monsieur ab." – "Es gehören einfach zwei dazu. Und ich bin, so gesehen, allein."
Ich habe es zugelassen, dass haustierchen sich allein und einsam fühlt – durch mangelnde Aktivität und mangelnde Kommunikation. Und dadurch dass ich zuwenig in der Liebessprache zu ihr spreche, die unsere Beziehung ausmacht.
Das niederzuschreiben, ist der erste Schritt: Zusammenhänge sehen und nüchtern wahrnehmen, auch und gerade, wenn sie eigene Fehler und Schwächen offenbaren. Stoische Weisheit im Alltag zulassen – um daran zu wachsen. Zu den Zusammenhängen gehört auch die Introspektion: Was denke ich, was fühle ich? "Entfremdung" bringt haustierchen in ihrem Blogeintrag zur Sprache.
Über die eigenen Gefühle zu schreiben, braucht Mut – zumal wenn es in einem semi-öffentlichen Rahmen stattfindet. Und wieder weist die stoische Tugend den Weg: Wenn Mut heißt, für sich und die seinen einzustehen, dann geht es hier nicht um einen Seelenstriptease, sondern darum, für haustierchen und mich Klarheit zu stiften: Was empfinde ich für sie, was hat das mit der Malaise zu tun, die unsere Beziehung befallen hat – und die ich zugelassen habe?
Wenn ich in mich hineinhöre, dann weiß ich: meine Liebe für haustierchen ist keine andere, sondern immer noch die, die uns zusammengeführt hat – diese besondere Form von Liebe, die unsere Beziehung auszeichnet: sie im Arm zu halten und zu streicheln, ihren Duft einzuatmen, sich über ihre kleinen süßen Hände zu freuen. Und zugleich: sie mit der Hundepeitsche oder der Stahlgerte zu bearbeiten, sie dort zu treffen, wo sie weich und verletzlich ist, ihr die Finger in den Hals zu stecken bis sie würgt, sie intensiv zu spüren. Und ebenso: ihre lebensklugen Gedanken zu hören, ihre Kunst zu sehen, ihr Bücher zu schenken, den Boden zu bereiten, auf dem sie wachsen kann. Dinge mit ihr teilen und erleben.
Warum also bei diesem bunten Strauß an Möglichkeiten der Mehltau auf unserer Beziehung? Hier zeigen sich die Schwächen, die aus dem Mangel an zwei stoischen Tugenden herrühren. Es fehlt mir mitunter an Besonnenheit, und ich habe Gerechtigkeit vermissen lassen.
Genauer auf unsere Beziehung gespiegelt bedeutet dies: Mangelnde Besonnenheit ist die falsche Einschätzung des richtigen Maßes. Zu wenig Aufmerksamkeit, zu wenig 'richtige' Kommunikation. Und im Nachgang von zu wenig Aktion dann zu viel Reaktion – mit der Brechstange lässt sich auch und gerade in einer TPE-Beziehung nichts erzwingen. Immer gilt: "Es gehören einfach zwei dazu." Und dann hilft: einen Schritt zurücktreten, um das richtige Maß zu finden: zuhören, Blogeinträge noch einmal lesen (dann entfalten sie ihr volles Potential), in sich gehen und reflektieren. Das eigene Zuwenig und Zuviel in den Blick nehmen, um dann besonnen agieren zu können.
Und hier kommt die Gerechtigkeit ins Spiel, und der Kreis der stoischen Tugenden schließt sich. Gleiches gleich behandeln: die Bedürfnisse der Sklavin ebenso Ernst nehmen wie die eigenen. Und anerkennen, wenn das unterblieben ist, um es heilen zu können. Gerechtigkeit bedeutet aber auch Ungleiches ungleich behandeln: eine Sklavin möchte nicht frei sein, sie will den Statusunterschied, sie will ihn spüren – idealerweise jederzeit. Und so zeigt sich die Gleichheit der Bedürfnisse in der Ungleichheit der Behandlung – und darin liegt die zu verwirklichende Gerechtigkeit in unserer Beziehung.
Wir – haustierchen und ich – haben uns dieses Jahr einen Vorlese-Adventskalender geschenkt; jeder hat dem Anderen aus einem ausgewählten Text vorgelesen, ich an den ungeraden Tagen, haustierchen an den geraden. Für den siebten Dezember hatte ich einen Auszug aus Schopenhauers "Die beiden Grundprobleme der Ethik" herausgesucht: An einer bekannten Stelle nutzt Schopenhauer Wasser als Metapher für die vermeintlich fehlende Willensfreiheit des Menschen. Ob Wasser als ein trüber Tümpel oder eine wogende Welle auftritt, liegt allein an den von ihm nicht zu verantworteten Umständen. Dies hatte ich haustierchen vorgelesen und etwas gegen den Strich interpretiert: nicht als Argument gegen den freien Willen, sondern als Raum der Möglichkeiten. Eine Sklavin ist wie Wasser, nicht willenlos, sondern willentlich weich und formbar; die submissive Energie will fließen und in eine Form gebracht werden. Wie sie nun fließt, welche Form sie annimmt, das ist Sache des Herrn: Hier kann er handeln und fehlgehen (wenn er es an Besonnenheit vermissen lässt.) Tritt er als Staumauer auf, an der sich die Welle bricht? Bietet er ein Becken, in dem das Wasser fließen kann, gestaltet er womöglich einen Springbrunnen, der es erlaubt, Kaskaden und Fontänen in allen möglichen Facetten zu zeigen?
Mein Zuwenig und mein anschließendes Zuviel haben erst zu Stagnation und dann zu Reaktanz geführt. Was ergibt sich aus dieser Bestandsaufnahme? – "Vieles hängt schlicht von Monsieur ab." In diesem Satz kulminiert meine Verantwortung und meine Aufgabe: mit haustierchen gerecht und besonnen umzugehen, mit dem nötigen Mut und der nötigen Weisheit. Herrschaft über sie und mich gleichermaßen – zu unserem beiderseitigen Glück.
Und es erfüllt mich mit einem wohligen Gefühl, dass ganz viel, von dem, was zu haustierchens persönlicher Utopie gehört, bereits in dem Rahmen steckt, der unser gemeinsames Leben umfasst; zugleich gibt es mir einen Stich zu lesen, das in der Mitte dieses Rahmens das gemeinsame "Wir" abwesend scheint.

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