Wegwerfgesellschaft
Im Moment ist es allgemein schwierig. Zwar wünscht man sich immer mehr Zeit miteinander zu haben, nun hat man sie und dann merkt man, dass die kleinen Pausen fehlen, in denen man sich, sein Verhalten, seine Umwelt in Ruhe überdenken kann, mit Abstand und Gelassenheit.
Man vermisst nicht, dass der andere hoffentlich endlich heim kommt, weil er daheim ist. Man hockt aufeinander rum und hinterher beschwert man sich, dass man nichts miteinander gemacht hat, sondern der Tag irgendwie dahin geschmolzen ist, wie ein Eis in der Sonne und man doch hätte so viel schöneres machen können, was man sich dann eben für den nächsten Tag vor nimmt, nur um abends darauf festzustellen, dass sich eigentlich nichts geändert hat und wieder alles zerflossen ist.
Alltagsmatsche.
Also versucht man ganz bewusst umzulenken, Struktur zu schaffen und es wirklich anders zu machen.
Gar nicht so einfach.
Die Zeit, die man miteinander verbringt, sollte man zum Teil bewusst gemeinsam erleben, gemeint ist quality time.
Man muss, stetig an einer Beziehung arbeiten, wenn sie erhalten bleiben soll, ähnlich wie bei Gebäuden z.B., die sonst einsturzgefährdet sind.
In der heutigen Zeit wird allerdings lieber neu gesucht, weniger repariert und das bemängele ich regelmäßig, denn gerade die älteren Dinge sind doch umso wertvoller!
In Japan wurden früher zerbrochene Porzellanteller, Tassen usw. nicht einfach weggeworfen, sondern es wurde eine Art Kunst daraus gemacht! Kintsugi bedeutet, man hat die Scherben mit einer Masse, in der Goldpulver und ähnlich kostbare Dinge gestreut wurden, geflickt und hinterher sahen sie meist schöner aus, als vorher und waren sogar noch kostbarer!
Mein größtes Thema im Moment ist Aufarbeitung verschiedener Facetten aus meiner Vergangenheit, denn mein Herr wirft mir nach wie vor vor, ich würde mir nicht einmal ansatzweise genug Mühe mit unserer Beziehung geben und nur weglaufen wollen.
Stimmt das?
Ich weiß es nicht, deshalb arbeite ich ja auf. Jedenfalls nehme ich diesen Vorwurf recht ernst.
Mein erster Dom heiratete mich und ich hatte früh bemerkt, dass er arge Probleme hat und wollte ihm immer helfen. Ich dachte, was seine Mutter und Ex-Freundin nicht schafften, würde ich mit genug Liebe, Zeit und Hingabe richten können.
Man, ich war jung und strotzte vor Hoffnung und Glaube.
Gelernt hatte ich, nach 15 Jahren, manche Dinge müssen die betroffenen Menschen selber machen, man kann ihnen nicht alles abnehmen.
Wenn er keine Hilfe möchte, kann ihm keiner helfen.
Ich hatte mich sehr für meine Ehe eingesetzt, alles gegeben, was ich hatte, was ich konnte und es hat nicht genügt.
Bin ich deshalb nun immer auf dem Sprung und denke mir: "Dann passt es eben nicht, dann muss man eben weiter schauen..."?
Vielleicht.
Da ist dann immer die leise Stimme des Zweifels, die einem ins Ohr flüstert: "Klar kann es an Dir liegen, dass Du Dir nicht genug Mühe gibst und fliehen willst, was aber, wenn es wirklich nicht passt und Du wieder viele Jahre verlierst, bis Du dann doch wieder an dem Punkt bist, wo Du merkst, es liegt nicht an Dir, sondern ihr passt einfach nicht zusammen?"
Mein Herr glaubt an uns und lässt nicht locker, lässt mich nicht gehen.
Manchmal finde ich es gut und ich bin ihm dankbar, zu anderen Zeiten finde ich es furchtbar und will nur weg.
Woher soll man wissen, was richtig ist?
Woher soll man wissen, dass man selber der Faktor ist, der der Beziehung langsam die Luft abschnürt und umbringt?
Ich habe 15 Jahre verloren, eine lange Zeitspanne und ich bin nicht bereit, nochmal so einen gigantischen Fehler zu machen. Ich hatte nach meiner Ehe noch eine kleine Affäre und war da auch sofort weg, als es Komplikationen gab und dann eine etwas längere Beziehung, in die ich mich auch nicht vollkommen fallen ließ, sondern immer auf der Hut war und zum Absprung bereit.
Zu sagen, es läge an mir, kann zutreffen, aber abermals ist da die zischende Stimme des Zweifels: "Was wenn nicht?"
Dann muss man sich entscheiden, ob man das Risiko eingeht und sich wirklich darauf einlassen, ohne Flucht, oder eben nicht und sich dafür entscheiden, sich zu trennen mit der Hoffnung im Hinterkopf, da draußen würde der perfekte Herr auf einen warten.
Klingt das kalt?
Vermutlich.
Doch ich liebe meinen Herrn, nur musste ich lernen, Liebe ist nicht alles, auf das es ankommt und egal wie sehr man jemanden liebt, wenn man sich trennt, tut es eine gewisse Zeit lang weh, aber man kommt darüber hinweg. Ein harter Weg, den ich hinter mir habe, der mich zu dem machte, was ich heute bin und vielleicht ist mein Herz zu vernarbt, um nochmal das volle Risiko einzugehen?
Mein Herr hat es nicht leicht mit mir, ich nicht mit ihm, jeder aus ganz persönlichen und eigenen Gründen, aber vermutlich würde das fast jeder in einer längeren Beziehung von sich behaupten.
Ich bat das ein oder andere mal darum, gehen zu dürfen, das Halsband abgenommen zu bekommen, entlassen zu werden und mein Herr kam dem nicht nach, weigerte sich.
Klar wäre es einfacher gewesen, wenn er es getan hätte, aber er hielt an mir fest, glaubt an uns nach wie vor.
Wenn ich ernsthaft darum bitten würde, wenn ich es begründen könnte, ich glaube, dann würde er mich ziehen lassen, aber bisher hielt er es für besser, mich zu behalten, weil er überzeugt ist, dass ich strauchle und noch zu lernen habe, mich nicht komplett auf ihn einlasse und immer zweifle und fliehen möchte.
Ich muss für mich klären, ob ich bereit sein kann, nicht werde, nicht bin, sondern kann, mich wirklich nochmal auf eine solche Beziehung einzulassen, denn ich steure nicht genug bei für unsere Beziehung, schmeiße lieber hin und haue ab.
Aber kann ich es noch?
Kann ich dieses Risiko nochmal eingehen?
Einige bedrohliche Momente musste und konnte ich in meinem Leben durchstehen und Strategien erarbeiten, damit umzugehen und klarzukommen.
Eine davon ist sich zu fragen, was die schlimmst mögliche Konsequenz ist.
Also nehmen wir mal an, ich gehe das Risiko ein (die Option zu fliehen bin ich unendliche male im Kopf durchgegangen, das muss ich nicht nochmal machen) und lasse mich wirklich komplett auf meinen Herrn ein und arbeite voll mit und verdränge alle anderen Optionen. Wenn es schief geht, was ist das Schlimmste, was passieren kann?
Ich habe einige Jahre verloren.
Negativ daran wäre:
Ich wäre älter, hätte weniger Zeit für ein anderes, eventuell schöneres Leben.
Ich könnte meinen Traum-Dom finden und mich dusselig ärgern, die Jahre nicht mit ihm verbracht zu haben.
Positiv daran wäre:
Sicherlich wäre nicht die komplette Zeit schrecklich, es gibt immer auch schöne Momente.
Ich hätte daraus gelernt und etwas für mich mitnehmen können.
Ich könnte stolz sein, den Versuch gewagt zu haben, trotz meiner Ängste.
Nimmt mir das Durchspielen dieser Gedanken meine Angst?
Nein.
Entscheide ich mich dadurch?
Nein.
Wovor habe ich noch Angst?
Ich habe eine tiefe, riesige Verlustangst, aus dem Tod meiner Mutter und den Aktionen meines Ex-Doms. Sie ist verwurzelt in mir und stark.
Würde ich mich voll auf meinen Herrn einlassen, könnte es mich innerlich zerreißen, wenn er wegfällt, weil er sich trennen möchte, stirbt, oder aus anderen Gründen nicht mehr vorhanden ist.
Ich musste viele, heftige Verluste ertragen und denke, noch einen, schaffe ich einfach nicht, denn irgendwann zerreißt es einen, dann bleiben nicht einmal mehr Fetzen von einem übrig.
Ich war meinem Ex-Dom hörig, ich war abhängig, ich konnte nicht ohne ihn und dennoch blieb er einfach weg, kam nicht von der Arbeit heim, meldete sich dann auch nicht mehr und ich saß heulend, wimmernd zuhause, bangte um ihn, nicht wissend, ob es wieder einmal seine "Krankheit" ist oder ihm womöglich dieses mal wirklich etwas zugestoßen ist und ich saß so die ganze Nacht da, keine ruhige Minute, kein Erbarmen, keine Pause, die ganze Nacht, bis morgens um sieben, oder mittags um zwölf oder noch länger.
Das prägte mich ungemein und wenn ich mich trennen wollte, wenn ich den Sprung in dieses Loch wagte, ohne zu wissen, wann ich auftauchen kann, wie es weiter geht, was werden würde, dann fiel ich tief und irrte umgehend zurück, aus Angst, aus Abhängigkeit, aus Verlustangst, nur um dann wieder bei ihm angekommen, umso unglücklicher zu sein und das eigene Versagen schwer auf den Schultern zu spüren, jeden Tag und die Aussichtslosigkeit wachsen zu spüren.
Ich musste lernen meine Gefühle abzukapseln, nach und nach zu lösen, zu verdrängen, zu verstecken, zu überhören, bis sie so weit geschrumpft waren, dass ich mich wirklich trennen konnte, ohne ein Zurück zu brauchen und es dauerte Jahre, mehr als ein Jahrzehnt, um an diesen Punkt zu kommen!
Ich schwor mir, nie wieder an so einen Punkt zu kommen.
Nie wieder so hörig, so abhängig und besessen zu sein.
Nun würde ich aber genau diesen Schwur aufbrechen müssen.
Kann ich das?
Will ich das?
Wenn er der Richtige wäre, müsste es mir leichter fallen?
Ist das bereits ein Indiz?
Oder bin ich doch einfach zu gefangen in meinen Ängsten, so dass es keinen geben könnte, der mir als der Richtige erscheint?
Ein anderer Faktor ist meine Verletzlichkeit.
Kennt man mich, denkt man, ich sei ein harter Knochen, habe so viel durchgemacht und überstanden und strahle noch immer.
Täuscht.
Alles was man nicht sieht, findet trotzdem in einem drin statt, man macht es mit sich selber aus, wenn man lernen musste, dass man es anderen nicht zumuten kann.
Nur weil man etwas nicht sieht, heißt es nicht, dass es nicht vorhanden ist.
Wenn mein Herr schimpft, egal ob über mich oder irgendetwas anderes, dann verletzt es mich, aber in einem Maße, dass er sich nicht ausmalt und so halte ich meine Schutzmauern oben und verschanze mich dahinter.
Ebenso wenn er mal wieder meine Worte umdeutet und ihnen einen vollkommen anderen Sinn gibt.
Ich habe aufgehört ihn zu verbessern, darauf hinzuweisen, dass ich es ganz anders meinte, dass er mir nicht zugehört hat, oder behauptet, es sei ironisch gewesen, weil es mühsam ist und er einfach nicht davon ausgeht, dass ich es auch anders meinen könnte. Das tut weh. Sich immer verteidigen müssen. Dafür habe ich keine Kraft. Schutzwalle sind einfacher, man zieht sie einmal hoch und fertig, dann kann er dahinter aufführen, was auch immer er will.
Wer liebt und sich voll darauf einlässt, emotional alles investiert, leidet auch viel, so ist meine Erfahrung.
Man gibt dem anderen verdammt viel Macht in die Hand.
Ich weiß gar nicht, ob ich dazu noch in der Lage bin. Vermutlich würde ich, beim ersten bösen Wort, beim ersten Fluchen direkt wieder alles hoch ziehen, ich glaube wirklich, ich kann gar nicht mehr anders, zu angenehm ist das Leben hinter der Mauer.
Ich bräuchte also Unterstützung meines Herrn, der mit mir zusammen alles runterfahren müsste und sich zusammenreißen und seine Wortwahl und Ton dauerhaft im Blick haben.
Kann er das?
Offen gestanden traue ich es ihm nicht zu, ich habe schon beim Schreiben hier, seine Stimme im Ohr, wie er mir Vorwürfe und Unterstellungen macht.
Gestern Abend versuchte ich es minimal. Er ging einkaufen und ich rief hinterher: "Danke!" und meinte es ehrlich und er pampte mich an, ich könne mir die Ironie sparen. Autsch.
Später fragte ich ihn, warum ich mir die Schminke vom Bunny Bild dran und die Ohren auf lassen sollte. Eigentlich dachte ich, er würde mir was nettes schreiben, statt dessen bekamen wir riesigen Krach.
Unsere Verhaltensmuster sind total eingefahren und es existiert gefühlt nur noch ein Gegeneinander, wie soll ich da meinen Schutz fallen lassen?
Wenn ich so die letzten zwei Jahre überdenke, dann fühle ich mich dauernd angegriffen, angegangen, bombardiert und geprügelt.
Wir unterstellen dem anderen nichts Gutes.
Wir haben direkt im Kopf, das meint er eh nicht so und drehen es herum.
Können wir davon nochmal weg kommen?
Ich bin mir nicht sicher.
Wieso soll ich dieses Risiko eingehen?
Wenn ich ehrlich bin, wenn ich es mir ausmale, dann sehe ich, sobald ich meine Mauern fallen lassen würde, mich involvieren würde, in einem hohen Maße, dass ich innerhalb von wenigen Stunden verletzt werde, Unterstellungen hören muss und mir sonst was an den Kopf werfen lassen.
Ich mochte nicht, ich möchte das alles nicht.
Ich denke nicht, dass ich in der Verfassung und in der Lage bin, mich in dem Maße, das nötig wäre, einzubringen, weil meine Ängste zu groß sind und ich kein Vertrauen darin habe, dass mein Herr in der Lage ist, sich so im Griff zu haben, als dass er mich nicht binnen kürzester Zeit verschrecken würde.
Ich habe nur die Wahl, so verletzlich zu sein und mich einzubringen, oder mich zu schützen und Abstand zu wahren. Dazwischen gibt es nichts und im Moment ist weder mein Vertrauen groß genug, noch meine Hoffnung, noch irgendein anderes positives Gefühl.
Alles schreit nach wie vor nach Schutz. Zu oft ließ ich meine Mauern fallen, nur um innerhalb von nicht einmal einer Stunde wieder verletzt zu werden.
Meine Erfahrung sagt mir, es ist eine sehr schlechte Idee.
Dafür sind die Wutanfälle meines Herrn zu häufig und zu heftig.
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